Schöne Schallwellen (I)

Die Variationen sind eine divertimentohafte Abfolge von vierundzwanzig teils heiteren, teils ernsten Charakterstücken: die Komposition vereinigt in sich also Variationen, Charakterstücke und Divertimento. Um meinen derzeitigen Lebenszustand in die Welt der Töne zu übersetzen, gebrauchte ich alles, was mir handwerklich zu Gebote stand. Es ging mir dabei, wie immer, nicht darum, einer Mode oder einer kompositorischen Ideologie willfährig zu sein. Die Stücke geben auch wieder, wie für mich die Musik gegenwärtig in Erscheinung tritt: als Durcheinander von Stilen und Zeiten, Zitaten, Melodiefetzen, Dissonanzen, E-Musik-Klischees, Lärm, Kitsch, Schnulze, Pop, Schlager, alles gleichzeitig und gleichberechtigt.

Das Variationsthema erklingt nicht zu Beginn, wie sonst üblich, sondern als neunzehnte Variation. Das Thema ist sozusagen selbst eine Variation. Ist also das Ganze eine Variationenreihe ohne eigentliches Thema? Im Gegenteil, denn man wird hören, dass doch ein Thema variiert wird. Von diesem habe ich eine Zwölftonreihe abgelauscht (sie ist darin eingefaltet), die als zweites Thema dient. Es sind also Doppelvariationen: der eine Variationenstrang ist tonal, der andere atonal; beide Stränge sind verstrickt und durch Zitate und Leitmotive miteinander verbunden.

Wenn alle schon wissen, wie «neue E-Musik» zu klingen hat, ist sie nicht neu, sondern alt (die «neue Musik» ist auch tatsächlich schon über 100 Jahre alt). Das Neue einer Komposition kann sich nicht aus den Gesten des Neuen, sondern nur aus der Person des Komponisten speisen: er biegt sich die herkömmlichen Mittel der Musik zurecht, um die Musik eigenartig zu gebrauchen. Er muss das tun, um sich ausdrücken zu können. Das versuche ich auch mit dieser neuen Komposition, die ich für Tytus geschrieben habe und die wir am Konzert vom 15. November 2020 gemeinsam zur Uraufführung bringen.

Während seines Besuches in Berlin 1796 am Hofe Friedrich Wilhelms II begegnete Beethoven den Cellovirtuosen Jean-Louis und Jean-Pierre Duport, die als Solisten und Lehrer des Cello spielenden Regenten angestellt waren. Die beiden Brüder waren innovative Cellisten: sie entwickelten Spieltechnik und Klang des Cellos revolutionär weiter. Beethoven liess diese Errungenschaften in die beiden Violoncellosonaten F-Dur und g-Moll einfliessen, die er in Berlin für den Preussenkönig komponierte und ihm widmete. Man darf behaupten, dass er mit diesen beiden Werken die Gattung Violoncellosonate mit Klavier neu begründet hat und sie zum Ausgangspunkt für alle weiteren Kompositionen in dieser Gattung wurden.

Nach einer getragenen Einleitung (Adagio sostenuto) entfaltet der erste Satz (Allegro) einen weitgespannten Sonatenhauptsatz von ungewöhnlicher Länge und apartem Tonartenplan. Vieles ist hier ungewohnt, experimentell: die Behandlung des virtuosen Klaviersatzes, die Setzweise der klangvollen, individuellen Cellostimme, sonore, aber auch perkussive Klangeffekte, Dialoge zwischen den beiden Instrumenten. Der zweite Satz ist ein temperamentvolles Sonatenrondo (Allegro vivace) mit einem all’Ungherese im zweiten Couplet. Beide Sätze halten kurz vor Schluss mit einem Adagio-Einschub inne, weisen zurück auf das einleitende Adagio und verklammern so alle drei Sätze zu einer einheitlichen Grossform.

(Beat Schönegg)

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