Im Zentrum des Programms stehen zwei Streichquartette, die diese Gattung an ihre Grenzen treiben und darüber hinaus.
Das Streichquartett Nr. 3 von Béla Bartók, komponiert 1927, nahm der Philosoph und Musiktheoretiker Theodor W. Adorno in seiner kurz nach der Uraufführung geschriebenen und immer noch lesenswerten Rezension zum Anlass, die Erneuerungskraft der Bartókschen Musik hervorzuheben. Die Entwicklung des Komponisten verlaufe
als Spirale in treuer Wiederholung der Aufgaben ihres Ursprungs; in unaufhaltsamer Verjüngung zugleich. Als Gefahr droht ihr einzig die Aberration. Jedoch gerade in ihr bewährt sich Bartók substantiell: aus den gefährlichsten Unternehmungen vermag er Kräfte zu ziehen, die den Angriff aufs ihm einzig Gemässe konzentrisch verstärken. Nirgends als bei ihm hat der Begriff des Experimentes, den reaktionäre Perfidie in Verruf brachte, besseren Sinn.
T.W. Adorno, Texte über Béla Bartók, Hg. J. Breuer, Studia Musicologica Academiae Scientiarum Hungaricae , 1981, T. 23, Fasc. 1/4, S. 421
Wesentlich für Bartók ist die Entwicklung einer ganz neuen Formensprache aus der Konfrontation mit den musikalischen «Typen» der ungarischen Folklore. Diese waren schon in der Romantik von verschiedenen Komponisten verarbeitet worden, und zwar indem sie – so Adorno – in die Sonatenformen der europäischen Tradition eingepasst wurden:
Die psalmodierende, motivisch aufgelöste Rhapsodie als Durchführungssonate, die ausgebreitete offene Monodie [d.h. einstimmiger Gesang] als Adagio, der widerstandslos bewegte, selbst von der Synkope gejagte Csárdás als Rondo: so stellen jene Typen im Zusammenhang mit der entwickelten europäischen Komponiertechnik sich dar.
Ebenda, S. 421
Diese Verwendung bezeichnet Adorno als «kostümierte Fremdheit», während bei Bartók die ungarischen Folklore «den europäischen Angriff annimmt, anstatt sich romantisch zu sichern.» (S. 421) Die Traditionen prallen in Bartóks Schaffen gleichsam klirrend aufeinander und aus dieser Konfrontation ergibt sich das Neue. Adorno betrachtet das dritte Quartett als Rückkehr des Komponisten zu eben diesem «einzig ihm Gemässen», «in die eigene Zone», nach dem «klassizistischen Abenteuer» (S. 422) anderer Stücke wie dem ein Jahr zuvor entstandenen ersten Klavierkonzert. Aus dieser klassizistischen Erfahrung habe Bartók zuvor von ihm kaum benützte Techniken mitgebracht, insbesondere den Kontrapunkt und eine reichere Palette an Klangfarben, die seine Tonsprache im dritten Quartett bereichern. In der Logik einer aufsteigenden spiralförmigen Entwicklung beurteilt der Philosoph und Kritiker Bartóks Synthese zweier Musiktraditionen in diesem Quartett als besonders gelungen: «Ungarische Typen und deutsche Sonate sind in der Glut ungeduldiger kompositorischer Bemühung eingeschmolzen; aus ihnen wahrhaft gegenwärtige Form erzeugt.» (S. 423)
Auch Felix Mendelssohn Bartholdys Streichquartett Nr. 6 in f-Moll geht bis ans Äusserste, wenn auch eher in emotionaler als in formaler Hinsicht. Der Komponist schrieb das Werk 1847 kurz nach dem unerwarteten Tod seiner Schwester Fanny, ein Ereignis, das ihn schwer traf. Die Musik ist aufgewühlt und von Schmerzensschreien zerrissen; die spärlichen lichten Momente lassen nur die düstere, unruhige Grundstimmung besser hervortreten. Es ist das letzte Streichquartett von Mendelssohn, der seine Schwester nur um wenige Monate überlebte.
Die beiden gewichtigen Werke werden interpretiert vom jungen französischen Quartett «Magenta». Es gehen ihnen zur Einstimmung kurze Stücke und Bearbeitungen für Cello mit Streicherbegleitung aus verschiedenen Epochen voraus, bei denen Tytus Miecznikowski den Solopart am fünften Instrument übernimmt.
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